Die Reduktion des Motivs auf elementare geometrische Formen wie Kreis und Rechteck – diese visuelle Strategie hat im 20. Jahrhundert vom Kubismus bis zum Logo-Design das Sehen verändert. Was aber, wenn jene Grundformen aus einem anderen Zeichensystem bezogen werden, das seine eigene ästhetische Sphäre erzeugt: die Noten der Musik? Johannes Kreidler, ursprünglich Musiker, hat die Polyästhetik der musikalischen Notation erkannt und zu einer eigenen Bildsprache weiterentwickelt. „Mit einem Mal habe ich Noten nicht mehr nur gelesen, sondern auch gesehen – ich sah sie quasi doppelt: einmal als Symbole der Musik, gleichzeitig aber auch als eigenständige bildnerische Bausteine. Mit Noten kann ich nicht nur Musik aufschreiben, sondern auch Gegenstände, Ereignisse, Wörter und Gedanken.“
Wie die Partitur eines Musikstücks gestaltet Kreidler seine im Leinwanddruckverfahren hergestellten Bilder. Oben mittig der Titel, darunter die Noten. Für ein veritables Musikstück sind es allerdings sehr wenige Noten, zumal essentielle Informationen wie Takt- und Tempoangabe, Lautstärke, Notenschlüssel oder Instrumentation meist fehlen – spielen kann man diese Kompositionen nicht. Sie transportieren vielmehr die Aura von Klang und lassen den Betrachter eine Musik dazu imaginieren. Gleichzeitig ergeben sich andere, nicht-musikalische Bezüge. Die Noten stehen an der Grenze von Figur und Abstraktion, sie bilden direkte oder assoziative Relationen zum ausgewiesenen Titel und haben ihre eigene sinnliche Wirkung. Diese Konstellation der Ästhetiken optisch / sprachlich / musikalisch zieht den Betrachter durch die minimalistische Konzentrierung in einen Wahrnehmungs-strudel. Gleichsam scheinen Witz und unmittelbare Schönheit aus den Notationen hervor.
„Diese Tulpe, von der ich spreche, und die ich, indem ich spreche, ersetze.“ (Derrida, Die Wahrheit in der Malerei) Kreidlers Arbeiten können als Verschiebungsbewegung gedeutet werden: Das Sujet wird ersetzt durch den Titel, der ersetzt wird vom Bild, dessen Teil er wiederum ist, das abermals ersetzt wird durch die Dimension, die aus dem Bild hinausweist.
So streng bei den Leinwandarbeiten die Form eingehalten ist und an der Oberfläche einheitlich wirkt, so individuell schafft Kreidler in jedem Bild eine Strategie der Bezüge. Das können wörtliche Abbildungen bekannter Sujets sein (Sunset), assoziative Anregungen durch übertriebene Zeichensetzung (Aura), das kann ein imaginäres Klangereignis sein (Memorial), ein ironischer Kommentar zu einem einfachen Vorgang (Effect), ein Pseudo-Liedtext (you) oder ein abstrakteres Ensemble (I knew it) – mit dem Vokabular entstehen immer Einzelfälle.
Hier laufen die Fäden der Notations von John Cage, der konzeptuellen Malerei, des Minimalismus und des Hard Edge in einer ganz speziellen Gestalt zusammen. Weitere Ausdrucksweisen sind dann die mit Noten versehenen Fotos, Filme mit Notationsminiaturen als quasi Untertitel für Taube und Slideshow-Installationen mit echter Musik dabei, um Noten erweiterte Geldscheine, kunsthistorische Klassiker wie L’Origin du Monde in Notationselemente aufgelöst und Performances mit Powerpointfolien. Die Ästhetik der Sheet Music setzt Kreidler konsequent in verschiedenen Medien und Darbietungsformen als Stilprinzip um.Verschobene Musik
Die Reduktion des Motivs auf elementare geometrische Formen wie Kreis und Rechteck – diese visuelle Strategie hat im 20. Jahrhundert vom Kubismus bis zum Logo-Design das Sehen verändert. Was aber, wenn jene Grundformen aus einem anderen Zeichensystem bezogen werden, das seine eigene ästhetische Sphäre erzeugt: die Noten der Musik? Johannes Kreidler, ursprünglich Musiker, hat die Polyästhetik der musikalischen Notation erkannt und zu einer eigenen Bildsprache weiterentwickelt. „Mit einem Mal habe ich Noten nicht mehr nur gelesen, sondern auch gesehen – ich sah sie quasi doppelt: einmal als Symbole der Musik, gleichzeitig aber auch als eigenständige bildnerische Bausteine. Mit Noten kann ich nicht nur Musik aufschreiben, sondern auch Gegenstände, Ereignisse, Wörter und Gedanken.“
Wie die Partitur eines Musikstücks gestaltet Kreidler seine im Leinwanddruckverfahren hergestellten Bilder. Oben mittig der Titel, darunter die Noten. Für ein veritables Musikstück sind es allerdings sehr wenige Noten, zumal essentielle Informationen wie Takt- und Tempoangabe, Lautstärke, Notenschlüssel oder Instrumentation meist fehlen – spielen kann man diese Kompositionen nicht. Sie transportieren vielmehr die Aura von Klang und lassen den Betrachter eine Musik dazu imaginieren. Gleichzeitig ergeben sich andere, nicht-musikalische Bezüge. Die Noten stehen an der Grenze von Figur und Abstraktion, sie bilden direkte oder assoziative Relationen zum ausgewiesenen Titel und haben ihre eigene sinnliche Wirkung. Diese Konstellation der Ästhetiken optisch / sprachlich / musikalisch zieht den Betrachter durch die minimalistische Konzentrierung in einen Wahrnehmungs-strudel. Gleichsam scheinen Witz und unmittelbare Schönheit aus den Notationen hervor.
„Diese Tulpe, von der ich spreche, und die ich, indem ich spreche, ersetze.“ (Derrida, Die Wahrheit in der Malerei) Kreidlers Arbeiten können als Verschiebungsbewegung gedeutet werden: Das Sujet wird ersetzt durch den Titel, der ersetzt wird vom Bild, dessen Teil er wiederum ist, das abermals ersetzt wird durch die Dimension, die aus dem Bild hinausweist.
So streng bei den Leinwandarbeiten die Form eingehalten ist und an der Oberfläche einheitlich wirkt, so individuell schafft Kreidler in jedem Bild eine Strategie der Bezüge. Das können wörtliche Abbildungen bekannter Sujets sein (Sunset), assoziative Anregungen durch übertriebene Zeichensetzung (Aura), das kann ein imaginäres Klangereignis sein (Memorial), ein ironischer Kommentar zu einem einfachen Vorgang (Effect), ein Pseudo-Liedtext (you) oder ein abstrakteres Ensemble (I knew it) – mit dem Vokabular entstehen immer Einzelfälle.
Hier laufen die Fäden der Notations von John Cage, der konzeptuellen Malerei, des Minimalismus und des Hard Edge in einer ganz speziellen Gestalt zusammen. Weitere Ausdrucksweisen sind dann die mit Noten versehenen Fotos, Filme mit Notationsminiaturen als quasi Untertitel für Taube und Slideshow-Installationen mit echter Musik dabei, um Noten erweiterte Geldscheine, kunsthistorische Klassiker wie L’Origin du Monde in Notationselemente aufgelöst und Performances mit Powerpointfolien. Die Ästhetik der Sheet Music setzt Kreidler konsequent in verschiedenen Medien und Darbietungsformen als Stilprinzip um.